Um zufrieden zu werden, müssen wir unser ‚Ich‘ loslassen. Peter Riedl geht der Sache auf den Grund, warum niemand zufrieden ist, obwohl das doch jeder möchte.
Woran liegt es, dass niemand zufrieden ist, obwohl das doch jeder möchte? Peter Riedl untersucht die tieferen Ursachen von Unzufriedenheit.
Ein guter Freund von mir ärgerte sich unlängst ganz schrecklich über seine Frau. Sie hatten die Wohnung gerade umgebaut und waren in die frisch ausgemalten Räume eingezogen. Seiner Frau fehlte ein Deckenauslass für die Wohnzimmerlampe. Sie fragte den Handwerker, ob es ein Problem sei, einen Deckenauslass nachträglich herzustellen. „Gar kein Problem“, sagte der Handwerker und begann, die frisch gemalte Wand aufzustemmen. Als mein Freund, der Ehemann, das bemerkte, rastete er aus. Er ärgerte sich über die zusätzlichen Kosten, den neuerlichen Schmutz und Staub und dass ihm die gesamte Maßnahme als überflüssig und sinnlos erschien. Ob sein Ärger ausschließlich durch die ‚unnötigen‘ Stemmarbeiten entstanden war oder ob auch psychologische Gründe mitspielten, konnte ich naturgemäß nicht wissen. Ob es von seiner Frau richtig oder falsch war, einen Deckenauslass herstellen zu lassen, auch nicht. Auf jeden Fall wollte und konnte sich mein Freund gar nicht beruhigen, sein Ärger war übermächtig. Unabhängig, was nun wirklich sinnvoll für die Wohnung war und was nicht, lässt sich Folgendes feststellen: Mein Freund, der Ehemann, war in diesem Augenblick weder ruhig noch zufrieden.
Ich sagte ihm dies. Nun war er nicht nur über seine Frau verärgert, sondern auch über mich. Er sah sogar ein, dass es angenehmer für ihn wäre, sich nicht zu ärgern. Aber das sei in einer solchen Situation völlig unmöglich, sagte er. Ich entgegnete, dass dies sehr wohl möglich sei. Ich sagte ihm nicht, dass ich das seit fast 30 Jahren übe und mich in 90 Prozent aller Situationen, in denen ich mich früher geärgert hätte, heute nicht mehr ärgere. Ich sagte ihm das nicht, weil er mich ohnehin für einen Besserwisser hält und ich ihn nicht weiter auf die Palme bringen wollte. Ich warf lediglich ein, dass der Buddha Derartiges gelehrt habe: Man könne den eigenen Ärger fallen lassen und auf diese Weise in sich selbst aktiv Ruhe herstellen. Doch leider überzeugte ihn auch der Buddha nicht. Er hatte einfach eine andere persönliche Erfahrung gemacht.
Woran liegt es, dass so wenige Menschen dauerhaft zufrieden sind, obwohl es den meisten doch recht gut geht? Wie wird man zufrieden? Kann man Zufriedenheit aktiv anstreben und erreichen? Entsprechend der buddhistischen Erkenntnis ist das möglich. Buddhismus ist eine Lehre und eine Übung, mit deren Hilfe man zufrieden werden kann, nichts anderes.
Wir suchen die Gründe für unsere Unzufriedenheit in den äußeren Umständen, in Deckenauslässen, Stemmarbeiten und Ehefrauen und erkennen nicht, dass sie vielmehr in unserem Denken, Sprechen, Fühlen und Handeln zu finden sind. Welche Gedanken und Gefühle machen uns zufrieden und welche nicht? Es gibt sogenannte unheilsame Emotionen, dazu gehören Ärger, Wut und Eifersucht. In diesen Zuständen sind wir erregt, so wie mein Freund das gewesen ist, und fühlen uns nicht wohl, also unangenehm. Wenn diese Emotionen nicht anwesend sind, sind wir nicht erregt und fühlen uns wohl, also angenehm oder zumindest neutral. Das scheint ganz einfach zu sein. Warum sind wir dann nicht immer ruhig? Wir ziehen diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht, zu sehr wissen wir aus Erfahrung, dass wir uns immer wieder ärgern. Wir machen uns die Mechanismen des Ärgers nicht bewusst und haben scheinbar keine Möglichkeit, hier eingreifen zu können.
Liest man die buddhistischen Antworten auf diese Probleme, erkennt man die Schwierigkeiten bei der Lösung der Problematik. Wir ärgern uns, weil wir uns mit unserem Ich identifizieren, weil wir egoistisch sind. Sogar wenn wir diese Aussage anerkennen, dauert es Jahre, um den Egoismus zu reduzieren. Eine andere Ursache ist, dass wir nicht erkennen, dass alle Dinge, auch Ehefrauen und Wandauslässe, ‚leer‘ sind, alle Dinge, auch Ehefrauen und Wandauslässe, vergänglich und leidhaft sind. So lange wir ihre Vergänglichkeit und Leerheit nicht akzeptieren und nicht aufhören, an Ehefrauen und Wandauslässen anzuhaften, werden wir leiden. Auch mit diesen Begriffen kann man am Beginn der buddhistischen Übung nur wenig anfangen. Was bedeutet es, dass alle Dinge leer, vergänglich und leidhaft sind? Es dauert Jahre und bedarf eigener Erfahrung, um die Richtigkeit der Aussagen des Buddha zu verstehen. Eine weitere Ursache ist es, dass wir uns das begleitende Gefühl in diesen Emotionen gar nicht bewusst machen und so nicht spüren, dass sie mit einem richtig unangenehmen Gefühl im Körper und im Geist einhergehen. Wir müssten dafür beginnen, unsere Aufmerksamkeit nach innen zu richten, also auf die eigenen Gedanken und Gefühle. Das tun wir aber (fast) nie. Ständig ist unsere Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, auf das, was wir sehen, hören und riechen.
Ebenso wie unsere Emotionen sind es auch unsere Gedanken, die uns nicht erlauben, fröhlich und zufrieden zu sein. Natürlich nicht alle Gedanken, aber alle illusionären, verwirrten, ängstlichen, begierdevollen Gedanken. Wir denken falsch. Nicht immer, aber immer wieder. Auch im Westen ist das bekannt. Der Philosoph Martin Heidegger sagt in einem Vortrag, dass wir gar nicht richtig denken, es aber lernen können – Martin Heidegger (1889-1976) „Was heißt Denken: Wir gelangen in das, was Denken heißt, wenn wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen. Sobald wir uns auf das Lernen einlassen, haben wir auch schon zugestanden, dass wir das Denken noch nicht vermögen.“
ie Personen in meinen Beispielen sind bekannt und haben derzeit alle Stress, oft sogar Megastress. Hätten sie gehandelt, wie in der rechten Kolumne beschrieben, wären sie wohl glücklicher und zufriedener.
Das ist die Erfahrung des Buddha: Unser Leid liegt in unseren Gedanken und Emotionen. Das ist nicht leicht einzusehen: Mein Kind stirbt, ich habe Krebs und das Leiden darüber soll in meinen Gedanken und Emotionen liegen?! Doch so ist es. Trauer und Schmerzen kann man akzeptieren, dann werden sie leichter.
Das Problem mit dem fehlerhaften Denken und Fühlen liegt in der Tatsache, dass wir vermeinen, dies kaum ändern zu können. Es ist nicht wie in einem Flugzeug, wo wir keinen Einfluss darauf haben, ob wir abstürzen oder nicht. Auf unsere Gedanken und Emotionen haben wir Einfluss. Wir haben lediglich den Eindruck, unseren Emotionen komplett ausgeliefert zu sein, und können unsere Gedanken oft nicht abstellen, auch ihnen scheinen wir willenlos ausgeliefert. In Wirklichkeit ist es wie beim Autofahren. Mehr noch. Während beim Autofahren eine Restgefahr bleibt, die wir nicht beeinflussen können, wenn uns andere Fahrer in einen Unfall verwickeln, kann man seine Gedanken und Emotionen zu 100 Prozent unter Kontrolle bringen. Die anderen sind daran völlig unbeteiligt.
Ich sehe das buddhistische Befreiungsziel daher ganz klar in der Möglichkeit, denken und fühlen zu können, was ich möchte, was mich gelassen und zufrieden sein lässt und mich nicht meinen ärgerlichen Gefühlen und meinem illusionären Denken auszuliefern. In der Meditation kann man lernen, das Denken zu beenden, den Geist ganz still werden zu lassen, die erregten Emotionen ganz sanft werden zu lassen – wie einen stillen Bergsee. In zahlreichen Gleichnissen wird das in der buddhistischen Praxis beschrieben. Die buddhistische Übung bedeutet, diese Gleichnisse zur Realität werden zu lassen. Dazu ist Vertrauen nötig, dass eine derartige Geistesruhe wirklich möglich ist, dazu ist der Wunsch nötig, diese Ruhe erreichen zu wollen, und die Willenskraft, eine derartige Übung auch durchzuführen. Und es ist ein ethisches Leben nötig. Denn diese Form der Übung führt zu großer Unabhängigkeit und Macht – über einen selber und somit auch über andere. Ohne Ethik und Liebe kann sie zu Grausamkeit und Gewalttätigkeit führen, nur in Verbindung mit einer ethischen Grundhaltung führt sie in die Befreiung. Befreiung und Zufriedenheit können geübt und gelernt werden.
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