Erotik, Sex und Liebeslust – was hat das mit Achtsamkeit und einem erwachten Leben zu tun?
Wie kann die Übung einer achtsamen Sexualität zu mehr Bewusstsein führen?
Im Süden von Sri Lanka kriecht am frühen Abend eine etwa einen Meter große Wasserschildkröte an den Strand, gräbt ein Loch und legt darin ihre Eier ab. Mitarbeiter der nahe gelegenen Turtle-Farm nehmen die Eier aus dem Loch, um sie vor Menschen und Tieren zu schützen. Die Schildkröte bleibt ganz ruhig. Sie lässt sich am Hals streicheln und es ist ihr nicht bewusst, dass ihr die Eier weggenommen werden. Wie programmiert macht sie weiter. Ohne sich stören zu lassen, schaufelt sie das Loch, das nun leer ist, minutiös und sorgfältig wieder zu. Danach nimmt sie ihren Weg durch die umstehenden Touristen, kriecht zurück ins Meer und verschwindet in der Tiefe. Sie lebt im Paradies. Sie ist unbewusst. Ob ihre Eier in Sicherheit sind oder nicht, weiß sie nicht und es interessiert sie auch nicht. Dass sie einst sterben wird, beunruhigt sie nicht, denn sie weiß auch das nicht.
Könnte die Schildkröte so wie wir Menschen denken, wäre ihr Leben ein völlig anderes. Vieles gelänge ihr besser, vieles schlechter. Sie würde das Loch nicht zuschütten, weil sie wüsste, dass es bereits leer ist, und für den Weg durch die Weiten des Meeres bräuchte sie nun einen Kompass.
Das, was unbewusst wunderbar funktioniert, wie das Vergraben der Eier, wird schwieriger, wenn sich der denkende, der reflektierende, der kritische Verstand einschaltet. Mit ihm haben wir ganz andere Dinge gelernt: Häuser bauen, strategische Kriege führen und Staaten gründen.
Ein Baby lebt unbewusst und zeitlos, der gereifte, ganze Mensch lebt bewusst und zeitfrei. Die Krise spielt sich dazwischen ab. Gehen haben wir noch selbstverständlich gelernt, lesen und rechnen nicht mehr. Solange wir die Trommel in grauer Vorzeit ganz natürlich geschlagen und ebenso getanzt haben, waren wir in vollendeter Harmonie. Je intellektueller wir wurden, desto mehr haben wir diese Fähigkeiten verloren, können sie aber wieder lernen. Eine Zeit lang werden wir recht und schlecht die Trommel quasi mit dem ‚Kopf‘ schlagen und den Rhythmus und die Tanzschritte aus dem Gedächtnis abrufen. Üben wir das länger, können wir den Kopf immer besser weglassen und entwickeln neuerlich eine Meisterschaft. Wir trommeln und tanzen nicht mehr unbewusst, sondern voll bewusst und gedankenfrei, wir haben unseren Bewusstseinsrahmen im Vergleich zum Beginn unserer Menschwerdung erweitert. Das Denken brauchen wir für die Konstruktion einer Brücke, für die Ekstase und die Intuition brauchen wir es nicht.
Diesen Vorgang vom Unbewusstsein zum Sich-bewusst-Sein kann man in der Sexualität wiederholen. Bei Menschen, die noch ganz natürlich und ohne zu denken Sex haben, funktioniert er anstandslos und unproblematisch. Tausend Jahre religiöser und gesellschaftlicher Entwicklung haben Gedanken, Vorstellungen und Vorurteile zwischen das natürliche sexuelle Geschehen und das, was wir heute im Bett miteinander machen, gebracht. Die Folge ist eine weniger natürlich fließende Sexualität, eine mit dem Denken überfrachtete. Das kann man gut in pornografischen Filmen sehen. Es wird nur mit dem Kopf gevögelt, auf Anweisung des Regisseurs gestöhnt und das gezeigt, was verkopfte Menschen geil macht. Mit einer natürlich fließenden, ekstatischen Sexualität hat das wenig zu tun.
In der spirituell-sexuellen Übung können wir den Vorgang, dass das Denken eine selbstverständlich funktionierende Sexualität beeinträchtigt, überwinden. Wir lernen einen gedankenfreien Sex, so wie wir in der Meditation versuchen, gedankenfrei zu werden. Dafür bringen wir die laut Sigmund Freud triebhaft ablaufende sexuelle Funktion unter eine bewusste Kontrolle. Das ist das eigentliche Ziel der spirituellen Übung der Sexualität.
Buddha hat uns als schlafende, als unbewusste, als Kind-Menschen bezeichnet und uns aufgefordert, uns auf einen Weg des Erwachens zu begeben. Dieses Erwachen können wir in der Sexualität wiederholen, wenn wir sie uns bewusstmachen. Dabei kann es passieren, dass uns – sobald wir den Kopf, das Denken und das Reflektieren einschalten – das natürlich fließende sexuelle Geschehen eine Zeit lang abhandenkommt. Das ist in der spirituellen Übung oft so. Als wir einfach waren, wie wir waren, teilweise neurotisch, teilweise er- und verzogen, hat unser Leben halbwegs funktioniert. Als wir einfach miteinander Sex hatten, war dieser gar nicht mal so schlecht. Dann kommt die spirituelle Übung – und alles wird erst einmal anders.
Das liegt am Eingreifen des egoistischen, des begehrenden Ichs. Wenn wir beginnen, in der Sexualität mehr und mehr bewusst zu sein, wird das, was bisher Spaß und Lust gemacht hat, eine Zeit lang möglicherweise schlechter funktionieren. So wie in dem Beispiel mit dem Trommeln und Tanzen oben durchlaufen wir einen Lernprozess. Wenn die sexuelle Reaktion körperlich, also unbewusst triebhaft, anspringt, funktioniert der Sex wieder besser – und Bewusstheit und Klarheit kommen zu kurz. Üben wir weiter, bekommen wir diese Problematik in den Griff. Wir können dann auch im ekstatischen Sex voll bewusst sein und die Bewusstheit bis zum Orgasmus voll aufrechterhalten. Wir haben somit eine neue Form der Sexualität gelernt, eine sehr bewusste. Es ist diese Fähigkeit, mit der wir dann auch andere Bereiche des Lebens, die uns bisher weniger bewusst waren, mit einem höheren Grad von Klarheit und Freiheit erleben. Das ist noch nicht die Erleuchtung. Wer meisterlich Sex haben kann, ist nicht erleuchtet, wer erleuchtet ist, kann meisterlich Sex haben – so er oder sie das will.
Sich den Kopf zum Freund machen
Gibt man sich dem Sex einfach hin, kann er wunderbar sein und ist unproblematisch. Kommt einem der Kopf dazwischen, können sich Impotenz, Fehlreaktionen und andere körperliche und geistige Schwierigkeiten einstellen. Beginnt man bei der Übung der sexuellen Vereinigung achtsam zu sein, zum Beispiel auf die Berührung der Knie auf dem Bettlaken zu achten, werden einem – wie in der Meditation – auch die Gedanken bewusster. Diese können – wie in der Meditation – beim sexuellen Geschehen, also im Raum beziehungsweise bei der Übung sein, sie können aber auch alles Mögliche betreffen, etwa Gedanken über berufliche oder familiäre Probleme. Wie kann man damit umgehen? Wenn die Gedanken beim sexuellen Geschehen selbst sind, können sie reale und illusionäre Inhalte haben. Oft sind sie pornografischer Natur. Anstatt diese Gedanken zu bekämpfen, sie loshaben zu wollen, lässt man sie zu. Anstatt sich oder die Partnerin zu fragen, ob man dies oder jenes tun soll/darf, tut man es einfach. Oft haben wir das ohnehin getan, aber selten bewusst. Nun – mit Achtsamkeit – macht man es bewusst. Man beachtet zusätzlich die eigenen Reaktionen und die der Partnerin.
Auf eine derartige Übung soll man sich nur im gegenseitigen Einvernehmen einlassen und für das Tun die volle Verantwortung übernehmen. Dazu ist eine gewisse Reife und Erfahrung wichtig, zu früh sollte man eine derartige Übung nicht beginnen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muss die Grenzen zeigen, die nicht überschritten werden dürfen. Man muss ausloten, was noch heilsam ist und was nicht mehr. Dabei wird es immer zu einer Grenzüberschreitung kommen, man kann also außerhalb der Grenzen des gesellschaftlich Tolerierten/Erlaubten gelangen. Bleibt man immer innerhalb eigener und gesellschaftlicher Normen, wird man kein Neuland – auch nichts Neues über sich selbst – entdecken.
Die Übung ist eine Gratwanderung, man kann sie leicht falsch üben oder sich fehlverhalten. Das spricht nicht gegen sie. Dazu gehört aber, dass man sich bewusst für sie entscheidet und die Verantwortung übernimmt. Oft verhalten wir uns im ganz ‚normalen‘ Leben unheilsam. Wir betrügen unsere Partner, verletzen sie durch unser sexuelles Verhalten, respektieren sie nicht. Diese Form der Übung enthält das Potenzial, Unheilsames zu erkennen und zu überwinden. Man nennt sie auch ‚tantrisch‘.
Die Bedeutung der Ethik
Die Erkenntnis des Buddha zu diesem Thema ist klar und einfach: Ohne sich ethisch heilsam zu verhalten, kann man nicht glücklich und zufrieden werden. Ein Betrüger, eine Lügnerin kann nicht glücklich werden. Man mag das bezweifeln; wenn man genau hinschaut, wird man erkennen, dass es so ist. Wichtig ist das ‚genaue Hinschauen‘. Es ist nicht leicht. Wir sehen gerne unsere lichten Anteile, die dunklen sehen wir nicht gerne. Unser Ego, unsere Vorlieben und Abneigungen, unsere Begierden, unser mangelhaftes Konzentrationsvermögen kommen uns ständig dazwischen.
Zwei Wege: Sutra und Tantra
Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Wege in ein glückliches und zufriedenes Leben. Üblicherweise versucht man, das sogenannte Böse wegzulassen, um ein guter Mensch zu werden. Das ist die herkömmliche Methode, und sie wird in den meisten buddhistischen, christlichen, hinduistischen Richtungen so gelehrt. Auf Sanskrit ist das der Weg des sutra . Der zweite Weg heißt tantra . In ihm lebt man so egoistisch, wie man ist. Man lässt die Begierden und Neurosen also nicht weg, sondern verwendet sie, wie Chögyam Trungpa das ausdrückt, als Dünger am Weg. Wenn man lernt, sie auf eine neue Art und Weise zu sehen, wird man erkennen, dass es so, also mit Gier und Hass, nicht geht, wenn man wirklich glücklich und zufrieden sein will.
Meditation , die Konzentration, Achtsamkeit , die Innenschau, Untersuchung , das wertfreie Beobachten, und Anstrengung , das Bemühen, Heilsames zu tun und Unheilsames zu unterlassen, sind die vier Methoden, wie man genau in sich und auf seine Umgebung schauen und sich allmählich zu einem besseren Menschen wandeln kann – so man das möchte. Viele wollen nicht einmal. Viele wollen, nur gelingt es ihnen nicht. Diese Methoden kann man täglich anwenden. Ich habe sie ausführlich in ‚Möge die Übung gelingen ‘ beschrieben.
Daneben gibt es einen zweiten Weg, es ist der tantrische. Das Prinzip von Tantra ist einfach: Man bemüht sich nicht, gut zu sein, sondern ist, wie man ist. Das sind ohnehin die meisten, alle, die ganz unbeschwert fordern: „Ausländer raus, den Armen die Grundsicherung nehmen, den Reichen alles nehmen, die Todesstrafe einführen.“ Diese Menschen glauben genauso wie jene, die das alles nicht fordern, sie seien die Guten und die anderen die Bösen. Sie wollen Amerika wieder stark machen, Europa und das Abendland retten, ihnen und der eigenen Familie soll es besser gehen. Wirklich erkennen, was gut und was schlecht ist, kann man nur durch genaues Hinschauen. Alles, was mit Liebe und Großzügigkeit verbunden ist, ist gut, ist heilsam. Alles, was mit Zorn, Eifersucht, Geiz verbunden ist, ist schlecht, ist unheilsam. Die Liste der Eigenschaften lässt sich beliebig ausweiten. Jeder weiß im Prinzip, was gut ist und was nicht. Im Tantra wird man nicht versuchen, Eifersucht und Wut zu unterdrücken, sondern man lebt sie aus. Man macht also etwas, was ohnehin viele Eifersüchtige und Wütende tun. Das alleine genügt nicht, um Eifersucht und Wut zu überwinden. Im traditionellen Tantra hatte man einen persönlichen Lehrer, einen Guru, der einen leitete. Im Westen haben wir Therapeuten und Selbsthilfegruppen, die das Gleiche tun. Man kann aber auch ganz alleine üben. Dazu möchte ich anregen. Doch wo ist dann das Regulativ, damit man nicht einfach die eigene negative Seite auslebt, ohne etwas zu ändern? Es liegt in der Absicht, sich zum Guten wandeln zu wollen, und in den Methoden des sutrischen Weges, der auch für Tantra die Basis ist.
Die tantrische Übung wird als rasch und gefährlich beschrieben. Gefährlich für einen selbst und für andere. Sie kann ins gesellschaftliche Out führen und einen mit dem Gesetz in Konflikt bringen. Sie braucht ein Regulativ. Denn was ist, wenn jemand unter extremen Obsessionen leidet, exhibitionistisch ist, sich zu Minderjährigen hingezogen fühlt oder andere abartige Vorlieben hat? Tantra ist kein Freibrief für negatives Verhalten. Das Bürgerliche Gesetzbuch, die Strafgesetze dürfen nicht verletzt werden, das Einverständnis des Partners muss vorliegen und es dürfen keine selbstzerstörerischen Tendenzen vorhanden sein. Jenseits dieser Grenzen sollten die Methoden der Psychiatrie und der Psychotherapie und keine tantrische Übung zur Anwendung kommen. Es gibt fließende Übergänge und die Methode stellt eine Gratwanderung dar. In traditionellen Beschreibungen haben berühmte Lehrer ihre Schülerinnen zum Diebstahl aufgefordert, tantrische Heilige waren vor ihrer Erleuchtung Mörder und haben sich sexuell fehlverhalten.
So viel zum sutrischen und tantrischen Weg. Nun müssen die Wege nur noch gegangen werden. Das ist nicht leicht. Wäre es leicht, hätten wir uns längst geändert und allen ginge es besser, keine Konflikte, keine Auseinandersetzungen, keine Kriege.
Der traditionelle Tantrismus war sehr stark ritualisiert und in strikten Abläufen strukturiert. Geheime Initiationen, klar definierte Lehrer-Schüler-Beziehungen, eine umfassende und äußerst disziplinierte und aufwendige Praxis sowie ein tiefer Glaube an das tantrische Pantheon und die mystische Subtil-Physiologie waren wesentlich. Sexualität war ein Mittel zum spirituellen Zweck und kein Ziel an sich.
Mitte des vorigen Jahrhunderts ist im Westen ein sogenanntes Neo-Tantra entstanden. Der Schwerpunkt wird bei diesem auf sexuell-meditative Übungen gelegt. Dadurch unterscheidet es sich von den alten spirituellen Traditionen, von denen es den Namen entlehnt. Das Neo-Tantra hat sich ab den 1970er Jahren im Westen verbreitet und stößt auf große Akzeptanz. Es lässt sich gut in den gegenwärtigen westlichen Lebensstil integrieren. Oft wird es mit Elementen buddhistischer Meditation, dem hinduistisch geprägten Yoga-System oder neo-schamanischen Praktiken verknüpft. Erfüllte Liebesbeziehungen – seien sie mono- oder polygam, hetero- oder homosexuell – mit einem erweiterten sexuellen Erfahrungsspektrum stehen im Vordergrund. Der religiöse Background tritt in den Hintergrund. Die meisten der heutigen Formen des Neo-Tantrismus werden religionsunabhängig praktiziert.
Partnerschaft als Übungsraum
Wer in einer Partnerschaft lebt, hat oft ein Problem, und wer in keiner lebt, hat oft genau damit ein Problem. Und mit der Sexualität haben fast alle noch viel größere Probleme.
Partnerschaft kann man auch so sehen: Der andere ist Funktion für mich, mein zweitbestes Übungsobjekt. Das beste bin ich selbst. Im anderen kann ich erkennen, was mir fehlt. Wenn ich es erkannt habe, kann ich es in mir entwickeln, ich werde so ‚ganzer‘, runder, weniger gespalten, habe mir ja das Unbewusste, Abgespaltene bewusstgemacht, werde heil und ganz, am Ende heilig, erleuchtet, erwacht.
Der andere war mir Hilfe dabei, aber nicht nur das. Weil ich in mir entwickeln konnte, was der andere hatte, brauche ich ihn nicht mehr. Dankbar für den gemeinsamen Weg, für das gegenseitige Erkennen kann ich endlich den anderen lieben, wie er ist, werde aufhören, ihn ändern zu wollen. Das macht mich unabhängiger von ihm, ich kann ihn lassen und werde gelassener. Abhängigkeit führt zu Destruktion, Hass und Zerstörung. Unabhängigkeit führt in die Freiheit, die körperliche, psychische und geistige Gesundheit.
Tabu-Überschreitung und ihre Bedeutung
Man übt in einem ganz bestimmten Kontext, um die eigenen Begierden und Neurosen zu überwinden, und nicht, um sie ungehemmt auszuleben. Das kann man – wenn man möchte – ohnehin immer, man braucht dafür nicht Tantra als Entschuldigung oder Begründung. Aber wenn man sie so auslebt, können sie – so wie die sutrische Übung – in ein heilsames Leben führen. Der oben erwähnte Kontext war im klassischen Tantra durch die tantrische Übung unter einem persönlichen Guru gegeben. In einem neuzeitlichen Tantra könnte diesen die Achtsamkeit ersetzen, also das ganz genaue Hinschauen auf die Gefahren und was die Übung in mir und bei anderen bewirkt.
Da die Gefahr eines sexuellen Missbrauchs in der tantrischen Sexualität groß ist, sollte die Übung von Paaren, die miteinander in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft leben, geübt werden. Natürlich können Männer und Frauen, die in keiner Beziehung leben, zu Übungszwecken zusammenkommen, dann aber muss der Grad der Selbstverantwortung umso höher sein. Man kann sich in tantrischen Übungen viel vormachen. Sex zwischen Schülern kann sinnhaft sein, zwischen Lehrer und Schüler sollte er nicht stattfinden. Da aber im Tantra grundsätzlich alles möglich ist, kann das nicht völlig ausgeschlossen werden.
Schwangerschaft ist nie das Ziel tantrischer Übung. Das ist einer der Gründe für eine Orgasmuskontrolle. Kann der Mann der Frau wegen mangelnder Fähigkeiten eine Orgasmuskontrolle nicht garantieren, ist eine Schwangerschaftsverhütung angebracht.
Wir sind Gruppenwesen. Unser Verhalten in der Gruppe ist entscheidend für unser Überleben, unseren Erfolg, die Anerkennung und Liebe, die wir bekommen und geben. Die Kehrseite davon ist, dass wir für ein gruppenkonformes Verhalten viel Energie aufbringen müssen und vieles gegen unsere Überzeugung tun. Wir wollen beliebt und anerkannt sein. Es gibt dafür zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Ein sehr eindrucksvolles Experiment beschreibt Paul Watzlawick in ‚Wie wirklich ist die Wirklichkeit ?‘: Versuchspersonen werden jeweils zwei Tafeln gezeigt. Auf einer ist ein Strich, auf der anderen sind drei Striche. Die Versuchspersonen sollen auf Tafel 2 jenen Strich benennen, der gleich lang ist wie der auf Tafel 1. Die Antwort ist einfach und eindeutig. Die Versuchspersonen nennen eine nach der anderen den richtigen Strich, und alle kommen zur gleichen Lösung. Ab dem dritten Durchgang schert eine Person aus. Sie benennt den richtigen Strich, alle anderen tun das aber nicht. Von Durchgang zu Durchgang wird die Person immer nervöser. Was sie nicht weiß, ist die Tatsache, dass sie in Wirklichkeit die einzige Versuchsperson ist. Alle anderen wurden instruiert, ab der dritten Runde jeweils den falschen Strich zu nennen. Etwa ein Drittel der Versuchspersonen nennt nach längerer Dauer des Versuches gegen die eigene Überzeugung und gegen die eigene Wahrnehmung den falschen Strich. Sie halten es nicht aus, sich gegen die ganze Gruppe zu stellen. Am Ende werden sie aufgeklärt und über ihre Gefühle befragt. Diese reichen von Angst bis zu Panikzuständen und Depersonalisierungssymptomen. Hätten sich die Versuchspersonen nicht dem Gruppendruck gebeugt, also in Bezug auf die Gruppe einen ‚Tabubruch‘ begangen, hätten sie weniger Energie verbrauchen müssen, um sich an die Gruppe anpassen zu können.
Im Umkehrschluss – und das kann man an sich selbst beobachten – wird sehr viel Energie frei, wenn man aufhört, sich für die Mitmenschen in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten, und anfängt, immer authentisch zu sein. „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Komische Käuze, Sonderlinge und heilige Narren leben besser und lockerer als angepasste Bürger – und sie werden auch älter. Auch das wurde wissenschaftlich nachgewiesen.
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