Ich war jung, erfolgreich und trotzdem nicht zufrieden. Durch die Begegnung mit Buddha und seiner Lehre hat sich mein Leben von Grund auf geändert.
Das, was ich erlebt habe, nennt man eine spirituelle Krise. Sie begann plötzlich und eindrucksvoll vor etwa 25 Jahren während eines intensiven Meditationsseminars. Ich stürzte unvermittelt in verwirrende körperliche, aber vor allem geistige Zustände, die mehrere Jahre anhielten und in denen ich mich total veränderte. Ich bin ein aufgeklärter Mensch, habe Medizin studiert und bin Naturwissenschaftler. Als solcher glaube ich an nichts. Gleichzeitig gehe ich seit drei Jahrzehnten einen spirituellen Weg. Auf diesem habe ich gelernt, auf Buddha und seine Lehre zu vertrauen. Meine Lebensgeschichte ist rasch erzählt: Ich war ein alleingelassenes Nachkriegskind. Meine Eltern waren mit sich und ihrer verheerenden Lebenssituation, dem verlorenen Krieg, der Frustration durch das Anhängen an eine verbrecherische Ideologie und der entsprechenden Desillusionierung, beschäftigt. Um mich hat sich außer einer Haushälterin kaum jemand gekümmert. Schon ganz früh litt ich unter Schlafstörungen und Migräneanfällen, es gab auch schon eine erste Panikattacke. In den Jahren darauf hatte ich ständig psychovegetative Beschwerden, Durchfälle, Gastritis, Bronchitis und diverse Ängste.
Ich war Mitte 40, als mir der Buddha und seine Lehre ,begegneten’. Das war in den 1980er Jahren, die Zeit der beginnenden Psychoszene. Ich besuchte Kurse in sensitiver Massage, griechische Volkstänze, schamanisches Trommeln, westliche Tantraseminare und Ähnliches. Durch den Begriff Tantra kam ich zusätzlich auf den tantrischen, also tibetischen Buddhismus – und war sofort interessiert. Das liebenswürdige Flair der Lamas beeindruckte mich sehr, die tibetischen Gesänge und das Rezitieren der Mantras machten mir Freude. Ich ging zweimal wöchentlich zum Meditieren. Von einem 14-tägigen Kurs mit dem verstorbenen Lama Tenga Rinpoche, der damals noch öfter nach Wien kam, sei ich völlig verändert zurückgekommen, bemerkte meine damalige Frau. Vom ‚Stadium des einen Geschmackes’, in dem man, ganz gleich, ob im Urlaub oder bei der Arbeit, ob einem Angenehmes oder Unangenehmes begegnet, immer gleichförmig gelassen sei, sprach der Lama. Mich, der ich sehr ehrgeizig und unruhig war, sprach das an einem ganz tiefen Punkt an. Dort wollte ich auch hin!
Bald aber merkte ich: So einfach ist es nicht. Die Ruhe nach dem Kurs ließ wieder nach, der religiöse Charakter und die vielen Glaubenssätze im tibetischen Buddhismus machten mich nicht gerade weiser. Zum Kern der Lehre Buddhas, der mich interessierte, drang ich durch den kulturellen tibetischen Überbau kaum durch. So suchte ich weiter und begegnete verschiedenen anderen bedeutenden Lehrern wie Jack Kornfield, Fred von Allmen, Ayya Khema und Genro Koudela. Bei ihnen lernte ich die Methoden der Vipassana-, also der Einsichts-Meditation, und der Zen-Meditation. Zusätzlich unterzog ich mich, zumindest eine Zeit lang, auch noch ‚härteren’ Psychomethoden wie dem Quadrinity-Prozess mit Bob Hoffmann, einer zweijährigen Ausbildung ‚Wege zum Selbst’ mit Wolfgang Merz und anderem mehr.
Zu einem Durchbruch kam es bei einem Vipassana-Seminar: Derartige ein- bis zweiwöchige Kurse mit täglicher 14-stündiger Einsichts-Meditation im Schweigen sind starke Methoden mit intensiver Wirkung! Allerdings auch mit Nebenwirkung. Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen.
Die aus der Kindheit bekannten Symptome stellten sich wieder ein: Panikattacken, Schlaflosigkeit, ich kam völlig durcheinander. Und auf diesem 14-tägigen Retreat mit Jack Kornfield strebte alles auf einen Höhepunkt zu. In den ersten Tagen des Kurses kämpfte ich gegen Zweifel, Müdigkeit und Depression. Die Stationen meines Lebens, der Schrecken der einsamen Jugend, die verzweifelten Eltern und meine gegenwärtigen Schwierigkeiten gingen mir ständig durch den Kopf. „Wo ist der Ausweg für mich?!“, schrie mein gemartertes Hirn. Am fünften Tag konnte ich nicht mehr. Ich unterbrach die vormittägige Meditation und ging in die Natur. Auf einer Wiese sank ich völlig erschöpft zu Boden. Der Geruch von Heu drang mir ganz intensiv in die Nase. In diesem Augenblick, völlig abrupt und unerwartet, änderte sich im Bruchteil einer Sekunde meine Wahrnehmung der Welt fundamental. Ein mystisches Erleben tat sich auf. Die Umgebung schaute völlig anders aus, Farben, Gerüche und Geräusche waren intensiver, ich fühlte mich geborgen und mit allem verbunden. Das war der Beginn eines jahrelangen Prozesses, in dem ich mich von Grund auf änderte. Doch vorerst endete der Zustand ebenso abrupt, wie er begonnen hatte. Schlagartig war ich zurück in der Realität und in meiner depressiven Gefühlslage. Was war das kurz davor gewesen? Ich wollte sofort zurück in diesen beglückenden Zustand. Wie komme ich dort wieder hin? Vorerst kam es nur zur Zunahme meines Grübelns und der Schlaflosigkeit. Ich lag stundenlang im Bett und hatte körperliche und geistige Erregungszustände. Energieschübe liefen wie Feuer durch meinen Körper, der oft stundenlang völlig unbeherrschbar zitterte. Irgendwann schlief ich erschöpft ein, um kurz darauf völlig ‚erleuchtet’ wieder aufzuwachen. Die nächsten Tage waren eine psychische Fahrt auf einer Hochschaubahn, täglich aus der Hölle in den Himmel und wieder zurück. In den nächsten Wochen und Monaten wurde es allmählich leichter. Ich gewöhnte mich an das Mysterium in mir, täglich ging es rauf und runter. Anfänglich fürchtete ich, verrückt zu werden, doch nach und nach, vor allem durch Beschreibungen von Menschen, die Ähnliches durchlebt hatten, erkannte ich, dass ich weder erleuchtet noch verrückt geworden war, sondern mitten in einer spirituellen Krise steckte.
Hindernisse und Schwierigkeiten gehören zu allen spirituellen Wegen, in denen man sich wirklich wandelt. Sie werden unterschiedlich benannt, die Begleiterscheinungen sind ähnliche, wie ich sie erlebt habe. Buddha beschrieb seinen Kampf mit Mara, den trügerischen Illusionen, Jesus wurde vom Teufel versucht, christliche Mystiker berichteten von der ‚langen, dunklen Nacht’, die sie durchschritten. In Indien werden derartige Prozesse als das ‚Aufsteigen der Kundalini’, der am Beckenboden liegenden Schlangenkraft, bezeichnet. Sie gehören auch zur schamanischen Entwicklung. Heute ist der Begriff ‚spirituelle Krise’ gebräuchlich. Erklärungen liefern alle diese Beschreibungen vorerst einmal gar nicht, aber immer geht es dabei um Wandlungsprozesse. Aufgrund meiner Erfahrung möchte ich das, was in ihnen geschieht, als ein Aufgeben der Kontrolle über die Gedanken und Gefühle bezeichnen. Auf jeden Fall handelt es sich um eine psychophysische Dynamik mit ganz starken körperlichen und geistigen Phänomenen. Obwohl mir die sogenannte Realität phasenweise völlig abhandengekommen war, sich die Wahrnehmung bis zur Auflösung der Welt verändert hatte, war ich in der Lage, tagsüber regelmäßig meinem verantwortungsvollen Beruf nachzugehen, ich hatte ein normales Familienleben und war, so hoffe ich, meinen Kindern ein fürsorglicher Vater.
Der Prozess dauerte etwa sieben Jahre lang und begann dann allmählich abzuflachen. In ihm lösten sich viele alte Ich-Strukturen auf und ich lernte, sie neu zu ordnen und zu entwickeln. Dabei halfen mir das Vertrauen in den Buddha und vor allem in die Methode, die er gelehrt hat, und das Wissen, dass er und viele andere nach ihm sich der gleichen schweren Übung unterzogen hatten. Ein wesentliches Prinzip dabei ist, dass man nicht nur ein bisschen meditiert, in die Kerze schaut oder Texte rezitiert, sondern sich maximal auf die Meditation konzentriert, bis man in tiefere Schichten des Bewusstseins eindringt, bis ‚es’ passiert, bis ‚alle Sicherungen durchbrennen’, bis die Schichten des Ichs aufbrechen und die Kontrollmechanismen, mit denen es sich schützt, abhandenkommen. Buddha hat es vorgemacht: Er ist so lange sitzen geblieben, bis ‚es’ geschah. Das habe ich auch getan. Nur durch sein Vorbild konnte ich mich auf diese unglaublichen Prozesse und Phänomene einlassen. Bald merkte ich auch, wie ich diese steuern konnte: intensive Meditationspraxis, Schlafentzug, ekstatisches Tanzen und Ähnliches verstärkten den psychischen Ausnahmezustand und sogenanntes ,Erden‘, körperliche Arbeit oder ein heißes Bad, also alle Tätigkeiten mit verstärkter Körperwahrnehmung, schwächte die Psychophänomene ab. Trotz vieler durchwachter Nächte, Alpträumen und Panikzuständen nahm ich kein einziges Mal irgendeine Schlaftablette, keine Tranquilizer, keine Beruhigungstablette, gar nichts. Die ganze Zeit wusste ich: Ich habe alles durch intensive Meditation und andere Methoden selbst ausgelöst.
Mein Weg und meine Schwierigkeiten hatten sicher auch mit meiner Jugend zu tun. Ähnliche Kinderschicksale gab es damals viele. Eine problematische Jugend hatte fast jeder. Auch heute befinden sich viele Kinder in sehr schwierigen Familiensituationen, auch wenn es von außen oft nicht mehr so leicht zu erkennen ist. Die Ursachen diverser Bauch-, Kopf- oder sonstiger Schmerzen und verschiedenster psychischer Symptome erschließen sich dem später Erwachsenen oft nicht mehr so deutlich.
Alle Menschen wollen glücklich sein, greifen nach dem Glück, wo es nicht zu finden ist, machen sich selbst unglücklich und merken es nicht einmal. Der Schuldige ihres Unglücks ist rasch gefunden: die Mutter, der Vater, die Gattin, die Kirche, der Chef, das System oder die Politiker. Irgendjemand lässt sich immer finden, nur selbst will man nicht die Ursache sein, wenn man frustriert, niedergeschlagen oder depressiv ist.
Krisenhafte Zustände nehmen zu. Burn-out-Symptome, Ängste, depressive und manische Zustände, Schlafstörungen lassen viele Menschen einen Psychiater oder eine Psychotherapeutin aufsuchen. Es stellt sich die Frage, ob diese im Leben entstandenen Probleme mit meinen vergleichbar sind. Der Mechanismus könnte, zumindest bei einem Teil von ihnen, ein ähnlicher sein: Das Leben ist durch irgendeine Ursache außer Tritt geraten. Gründe dafür gibt es mannigfaltige: zu viel Arbeit, große Verluste oder schwere Krankheiten, Alkohol oder Drogen, eine schwierige Veranlagung. Behandelt wird psychotherapeutisch, medikamentös oder mit beidem. Sind die Symptome stärker, stehen nach ärztlicher Meinung fast immer Psychopharmaka im Vordergrund. Ein Leben beginnt für diese Menschen, in dem sie zwar weniger von ihren Symptomen belastet sind, das sich aber wie in Watte abspielt, starke Gefühle werden unterdrückt, das Denken erfolgt wie durch einen Filter. Das müsste viel weniger oft sein, als es tatsächlich geschieht.
Nach heutiger schulmedizinischer Meinung sollen die Symptome sofort medikamentös beseitigt werden. Dann gilt der Patient als weitgehend geheilt oder es wird noch eine Psychotherapie angeschlossen. Günstiger hielte ich es, nicht sofort zu versuchen, alle Beschwerden medikamentös zu behandeln, zumindest nicht jene, die nicht aufgrund einer Erkrankung, sondern aufgrund einer fehlerhaften Sicht- und Lebensweise entstanden sind. So lange sie vorhanden sind, steht man unter einem großen Leidensdruck, der einen zwingt, sich mit einem selbst auseinanderzusetzen und einen neuen Weg einzuschlagen. Ist der Druck weg, wollen alle – Arzt und Patient – möglichst rasch zurück ins alte ‚Funktionieren’ am Arbeitsplatz und in der Ehe. Eine grundsätzliche Änderung in ein völlig neues Leben ist selten Ziel einer derartigen Behandlung. Ja schon: „Machen Sie ein bisschen weniger und langsamer“, sagt beispielsweise die Ärztin bei der Entlassung. Dass eine viel weiter reichende Heilung möglich wäre, machen sich weder der Therapeut noch der Betroffene bewusst. Diese Menschen haben es schwerer, als ich es hatte. Sie haben weder Methoden zur Verfügung, wie sie etwa die Meditation darstellt, um sich geistig zu stabilisieren, noch haben Ärzte und Patienten genug Vertrauen in den Prozess selbst. Befindet man sich mitten in der Krise, ist es zu spät, so komplexe Methoden wie Vipassana oder Zen zu erlernen. Neben Psychotherapie, die in solchen Fällen immer gut ist, bleiben oft nur die Psychopharmaka. Sie werden meines Erachtens zu oft verschrieben. Ihr Umsatz geht in die Milliarden und sie sind ein riesiges Geschäft. Wie wäre die Sache ausgegangen, wenn diese Menschen sich vor dem Ausbruch einer Krise einer ähnlich intensiven Meditationspraxis, wie ich sie machte, unterzogen hätten? Eine hypothetische Frage. Oder doch nicht? Sollten nicht viel mehr Menschen viel früher zu meditieren beginnen?
Sowohl während des Kurses als auch in den ersten 15 Jahren danach hörte ich niemals auf, mich weiter der täglichen intensiven Meditationspraxis zu unterziehen. Die lange Dauer der Krise war sicher nötig. Erst nach und nach begann ich, das Erlebte einzuordnen und in mein Leben zu integrieren. So wurde ich in 30 Jahren Praxis in allen Lebensbereichen bewusster, aufmerksamer, unabhängiger, friedlicher und ruhiger. Schritt für Schritt hatte ich so zu mir gefunden, zu meinen Bedürfnissen, zu meinen Stärken und Schwächen. Schon unmittelbar nach dem ersten Kurs konnte ich plötzlich zuhören, ohne gleich innere Antworten zu bilden, wurde selbstsicherer, konnte meinen Gefühlen freieren Lauf geben, lebte viel mehr im Augenblick und weniger in meinen Gedanken. Durch mein ‚aufgelöstes Ich’ konnte ich lernen, Ängstlichkeit, Kleinlichkeit, Sorgen und Unruhe in mir fallen zu lassen und neue Fähigkeiten zu entfalten. Wichtig war, so wie Buddha das empfohlen hat, den Geist klar und rein zu halten. Medikamente und Drogen waren schon vorher nicht mein Thema gewesen, nun hatte ich auch noch den Alkohol weggelassen. Die drei sind insofern ein Teufelszeug, als sie zwar starke Emotionen dämpfen und so ruhiger machen können, aber diese Ruhe ist äußerlich durch eine Änderung der Chemie des Stoffwechsels bedingt. Diesen chemischen Prozess kann man auch selber steuern. Man muss nur die Knöpfe in sich finden, die ihn regulieren. Für Nichtmediziner: Stoffwechselprozesse sind es immer, die uns fühlen, denken, bewegen lassen. Aber nur die Bewegung der Muskulatur können wir selbst beeinflussen. Bei den Gefühlen gelingt das deutlich schlechter und beim Denken nur sehr eingeschränkt. In der Meditation kann man lernen, Gedanken und Gefühle zu kontrollieren, ohne sie zu unterdrücken oder ungehemmt auszuleben.
Die psychophysischen Kräfte im Menschen können enorm sein. Ein Leben lang unterdrückt, könnten sie es sein, die sich im Alter als Parkinson, Demenz und Depression manifestieren. Werden sie ins Unbewusste verdrängt, entwickeln sie eine enorme negative Kraft, die zu Mord, Perversionen und vielen anderen Auswüchsen menschlichen Handelns führen kann. Unsere tägliche Zeitungslektüre zeugt davon.
Buddha hat ein System gelehrt, in dem man nichts glauben muss, alles überprüfen soll, sich ganz tief einlassen kann auf die mystische Welt, die sich zeigt, die ebenso ein Produkt unserer Sinneswahrnehmungen ist wie die sogenannte reale. Beide Welten sind nicht zu trennen. Ich kann sie beide sehen und fühlen. Der Buddha hat ein System gelehrt, wie man durch die Übung der Meditation die Substanzlosigkeit aller Phänomene und die Vergänglichkeit allen Seins erfahren kann. Sein System ist mit modernen Naturwissenschaften kompatibel und es hat hohes Potenzial, diese zu bereichern. Das Ziel ist der befreite, selbstbestimmte Mensch, der andere Religionen oder Anschauungen nicht herabwürdigt, nicht um spirituelle Wahrheiten, Glaubenssätze und Dogmen kämpft, sondern der seine Erkenntnisse immer nachprüfbar begründen kann.
Buddhas Lehre enthält eine ganz besondere Ethik, in der man nicht zum Einhalten von Geboten verpflichtet wird, sondern die empfiehlt, sich in den ethischen Regeln zu üben. Gerade diese Ethik ist es, durch die sich der in der Meditation geklärte Geist in Kombination mit dem gelehrten Wissen zur Weisheit wandelt. Nachprüfend folge ich diesem Weg und habe daraus viele Erkenntnisse über mich und andere gewonnen. Deshalb kann ich sagen: Wer sein Leiden überwinden und dabei einen spirituellen Weg gehen möchte, wem eine rein materielle Weltsicht zu wenig ist, wer hinter die Oberfläche schauen möchte, wer Offenbarungen und Aussagen einer Priesterschaft nicht glauben kann oder will, der braucht Buddha!
Foto © Apollonia Bitzan