Wie dumm kann man sein?

Beitrag vom
6. März 2019
Meditation & Achtsamkeit, Neuigkeiten

Über und um Achtsamkeit ist vielen vieles immer noch unklar, nur eines nicht: Die Achtsamkeitswelle scheint nicht mehr zu stoppen, sie ist Dauerthema in Seminaren und Zeitschriften. Unlängst gerate ich an einen Artikel in der österreichischen Tageszeitung ‚Die Presse‘ vom 2. September 2018. Dort steht: „Achtsamkeit ist das neue Joggen – nur diesmal für den Kopf.“ Die Autorin Christine Immlinger zitiert eine Reihe von Achtsamkeitslehrern. Das Positive an der Achtsamkeit sei, dass man sie von ‚religiösen, spirituellen oder weltanschaulichen Konzepten klar differenzieren könne‘. Dem Punkt, dass man nichts glauben muss, um Achtsamkeit zu praktizieren, kann ich mich anschließen. Immlingers wesentliche Aussage ist jedoch, dass man einen ‚spirituellen Rahmen‘ überhaupt nicht braucht.

Neurowissenschaftliche Untersuchungen hätten ‚bei 4.800 Mitarbeitern einer Firma, die sich in Achtsamkeit geübt haben, klar messbare Effekte ergeben: Die Bindung an das Unternehmen sei gestärkt worden, es tue den Leuten und dem Unternehmen gut‘. Positiv wird in dem Artikel auch hervorgehoben, dass die Technik aus dem Silicon Valley käme. Das wird verkauft, als ob das ein Adelsprädikat sei, und ich frage mich: Erkennt da niemand, was läuft?

Da nimmt der Amerikaner Jon Kabat-Zinn eine uralte Methode eines der größten Weisheitslehrer der Menschheit, macht daraus eine brauchbare und verbrauchbare Methode und lässt sie sich zusätzlich noch patentieren. Budda Shakyamuni, der Weisheitslehrer, von dem ich spreche, hat die Achtsamkeit als das Zentrum seiner Lehre beschrieben. Es gäbe nur einen Weg zur Überwindung von Jammer, Kummer, Trübsal und Leid und das sei die Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit. Achtsamkeit alleine sei für die Erreichung dieses Zieles zu wenig. Man müsse sich auch in Meditation üben, sich anstrengen, man müsse viel wissen und vor allem ethisch leben. Fast alles davon wird nun weggelassen.

2.500 Jahre haben sich unzählige Menschen den Übungen des Buddha unterzogen, viele haben das von ihm angegebene Ziel erreicht, viele leider aber auch nicht. Es ist nicht ganz einfach zu erreichen. Es gibt schon von Buddha selbst die Belehrung von Pfad und Nicht-Pfad. Dies bedeutet: Man kann den buddhistischen Weg gehen, um das Ziel – die Überwindung des Leidens – zu erreichen, aber man kann auch den Weg benutzen, um andere Ziele anzustreben, etwa Macht, Einfluss, finanzielle und sexuelle Ausbeutung der Schüler und Schülerinnen und vieles mehr.

In der gegenwärtigen Achtsamkeitswelle kommt es nicht nur zum Verbrauch der Methode, sondern es wird das ursprüngliche Ziel aus dem Blick gelassen. Achtsamkeit wird als Produkt propagiert, das aus dem ‚Silicon Valley kommt‘, einen ‚besser in Firmen funktionieren und vielleicht sogar eine Spur gesünder werden lässt‘. Das Ganze wird als die nächste ‚große Gesundheitsrevolution‘ angekündigt, die seit 2012 in den USA ‚so richtig Fahrt aufgenommen hat‘, dies ‚seit 2016 nun auch in Deutschland tut und jetzt auch in Österreich‘. Sogar in Österreich, wirklich beeindruckend! 🙂

Ganz viele Meditations- und Achtsamkeitslehrer und -lehrerinnen, die diese buddhistischen Methoden seit Jahrzehnten lehren und in deren Kurse bisher nur wenige Menschen gekommen sind, habe ihren Obolus nach Amerika getragen. Sie haben nun das wissenschaftlich anerkannte Zertifikat, dass Achtsamkeit kein Humbug ist. Sie nennen sich MBSR-Lehrer, unterrichten ‚Achtsamkeitsbasierte Stressverminderung‘. Ihre Kurse sind voll, Firmen interessieren sich dafür. Und Google, Apple und Facebook sind auch dafür. Jetzt kann doch eigentlich überhaupt nichts mehr passieren. Jetzt kann man der Sache – frei von jeglicher Ethik, von Spiritualität oder Buddhismus – erstmals wirklich vertrauen. Die Bindung an die Firma nimmt nämlich, statistisch abgesichert, zu.

Wie dumm kann man sein? Merken die Menschen nicht, dass sie sich eine Methode kaufen, die dazu dienen soll, dass sie besser funktionieren? Und dass sie das eigentliche Ziel, die Überwindung des Leidens, so nicht erreichen werden. Sie benehmen sich wie Bauern, die in den Hühnerstall gehen, sich mit dem Stallmist begnügen und die guten Eier liegen lassen.