Was von der Revolution 1968 blieb

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29. November 2018
Gesellschaft, Neuigkeiten

Es ist 50 Jahre her, dass sich weltweit linke Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen formierten. Ich erlaube mir die Frage, wie sie die Welt verändert haben. In politischer Hinsicht wurde leider kaum Nachhaltiges geschaffen, denn spätestens Trump, Gauland, Strache, Le Pen und Erdogan haben wichtige Errungenschaften rückgängig gemacht. Doch warum sehen diese Politiker in der damaligen Revolution bis heute eine Gefahr?

Weil nicht nur eine linke, sondern vor allem eine geistige und spirituelle Revolution stattgefunden hat. ‚Sex, Drugs und Rock’n’Roll‘ war nur der oberflächliche Ausdruck einer Veränderung, die viel tiefgreifender war. Es hat auch eine geistige Revolution stattgefunden. Damals ist etwas Neues in die Welt gekommen.
Bis zum Zweiten Weltkrieg beherrschten Kolonialismus, Nationalismus und Rassismus viele Gesellschaften. Der ‚weiße Mann‘ war bis dahin ausschließlich als Eroberer nach Afrika und Asien gekommen, auf Einheimische wurde herabgeschaut.

Mit der Revolution 1968 hat der Niedergang des weißen Mannes begonnen. Die Auseinandersetzung ist noch im Gang. Mit Trump bäumt sich das Imperium noch einmal auf, wahrscheinlich ist er aber gerade dabei, es in den Abgrund zu führen.

Ich bin 1968 mit einem Volkswagen nach Indien gefahren und war Teil des großen, sogenannten ‚Hippie-Tracks‘. Erstmals in der Geschichte sind sich Euro-Amerikaner und Asiaten in großer Zahl und vor Ort auf Augenhöhe begegnet. In der Presse in Kabul wurde diskutiert, ob man die verdreckten Westler ausweisen sollte. Man gelangte zu der Ansicht, dass sie ein Gewinn seien. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Afghanen reiche, gut aussehende Amerikaner nur im Kino bewundern können, jetzt, von Angesicht zu Angesicht, stellte sich heraus, dass die Westler ärmlicher gekleidet und schmutziger als die Afghanen selbst waren. Bereits 1961 war als Vorläufer der 1968er-Bewegung das ‚Peace Corps‘ von John F. Kennedy gegründet worden und junge AmerikanerInnen lebten als Peace-Corps-MitarbeiterInnen in vielen indischen Dörfern gleichberechtigt nebeneinander.

Wie bei allen Revolutionen, sei es die Französische Revolution, die Oktoberrevolution oder die Love Parade, wurde auch 1968 zuerst einmal ziemlich stark übertrieben. Das ist dem Wesen des Neuen geschuldet, dem Unbekannten, von dem niemand weiß, wie damit umzugehen ist. Es wurde vieles falsch gemacht: etwa die geistige Befreiung durch Drogen – totale Fehlanzeige; oder Sex mit Minderjährigen – ein rein krimineller Akt. Auch das Durcheinandervögeln als neues Beziehungsmodell brachte niemandem wirklich etwas und hat sich deshalb auch nicht durchgesetzt.
Die Rote Armee Fraktion (RAF) war ebenfalls eine Folge der 68er-Revolution – ganz im Geist des alten Nationalsozialismus. Es wurde statt extrem rechts damals dann angeblich extrem links agiert, doch inhaltlich war es das Gleiche: Mit wirrer Ideologie wurden willkürlich Mitmenschen ermordet.
Sehr viel von dem, was wir heute leben, hat damals begonnen. Fünf Schritte sind wir vorangestürmt und bis dato wieder drei bis vier zurück. Fazit: Es sind ein bis zwei geblieben. Auch nicht schlecht.

Allerdings: Damals haben sich geistige Räume geöffnet, die immer noch offen sind. Musik ohne Chuck Berry wäre heute undenkbar. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, vor allem auch im sexuellen Bereich, war der Traum der 68er-Generation. Doch drei bis vier Jahrtausende Patriarchat schüttelt man nicht so einfach ab.

Was sonst noch? Der Umgang mit Drogen, die Psychoszene, neue Therapieformen, spirituelle Gruppen, Esoterik, das Erstarken der Religionen: Ohne die 68er undenkbar! Nicht alles davon ist gut.
Viele bekannte Meditationslehrer haben damals in Asien Drogenerfahrungen gemacht, sind ihren eigenen Lehrern begegnet und haben erst allmählich gelernt, dass Ekstase und geistige Freiheit in der Meditation stabiler erlernbar sind als durch psychodelische Substanzen. In der Drogenerfahrung öffnen sich Räume, von denen man nicht weiß, wie man sie betreten hat, sodass man nur schlecht wieder herausfindet. In der Meditation ist es zwar mühseliger, neue Tore zu finden, man kann sie aber bewusst öffnen und auch wieder schließen, weil man es selbst tut.

Ein Meister sitzt mit zwei Schülern in einem Kloster. Eine Fahne weht im Wind. Der Lehrer fragt: „Was seht ihr?“ „Die Fahne bewegt sich“, sagt der eine. „Der Wind bewegt sich“, sagt der andere. „Beides falsch“, antwortet der weise Mann. „Der Geist bewegt sich.“ Diese Erkenntnis, die nun langsam in den Westen dringt, hat damals ihren Anfang genommen.